Buenos Aires

Wenn die Dämmerung über Buenos Aires hereinbricht, scheint leise Musik über den großen zentralen Friedhof zu tönen. Aus dem Grab von Carlos Gardel weht Wehmut über diese unwahrscheinliche Stadt der Toten. Der Tangomeister ruft seine Mitmenschen aus vergangenen Zeiten mit seinen unvergänglichen Klängen zu einem schwermütigen, sehnsuchtsvollen, immer wieder letzten Tanz. Immer noch pilgern Menschen zu seinem Grab, voller Dankbarkeit und in ewiger Liebe. Carlos Gardel ist die Seele dieser Stadt, so wie es der Tango ist, die Sehnsucht und die Wehmut. Doch nicht selten wird aus Wehmut Wut.

Donnerstags versammeln sich die Madres de la Plaza de Mayo auf diesem symbolträchtigen Platz, seit Jahrzehnten und immer noch. Sie trauern um ihre während der Militärdiktatur verschwundenen und ermordeten Kinder. Und auch andernorts und an anderen Tagen wird demonstriert, mit lautem Getrommel. Demonstrationen gehören zum Alltagsbild. Die Menschen erleiden und lieben dennoch ihre wechselvolle Geschichte. Ein Einwanderungsland, ein Land der Eroberer, ein Land der Geknechteten und trotzdem irgendwie Unbezwingbaren. Auf der Plaza de Mayo in der Casa Rosada hat Eva Perón einst ihre berühmte Rede vom Balkon des Regierungssitzes gehalten. 

Trotz der Armut der Inflation, des furchtbaren neuen Präsidenten Javier Milei, schwingt ein bisschen Peronismus überall mit. Ein Museumsbesuch ist umsonst, Stadtteilinitiativen kümmern sich um Obdachlose, in den Parks gibt es kostenlose städtische Sportgruppen und Künstlerinnen-Initiativen finden ihre Nischen. Doch die derzeitige Situation ist fatal, das Land scheint völlig am Ende. Als wir am ersten Abend in der Stadt schnell ein paar Pesos brauchen, um etwas zu essen, wird uns das schnell klar: An den Geldautomaten stehen Menschen Schlange, maximal 5000 Pesos kann man hier ziehen, das sind ca. 5 Euros und reicht kaum für ein Sandwich. Wir bezahlen dann auch noch 5 Euro Gebühren dafür. 

Die folgenden vier Tage regnet es, manchmal in Strömen. Wir verbringen unsere Tage damit, ein paar einfache Dinge zu regeln: Geld tauschen zum Blue Dollar Kurs, ein SIM-Karte kaufen und aktivieren, eine Busfahrkarte kaufen, einen Stadtplan kaufen. All das kostet jeweils Stunden und ohne ein bisschen Insiderwissen, das mir meine ehemalige argentinische Mitbewohnerin Nieves mitgegeben hat, wären wir völlig verloren gewesen. Buenos Aires ist nicht schön, nicht einladend, Buenos Aires ist anstrengend und besonders. Schön, dass wir hier waren, wiederkommen werden wir nicht. Die schönen, leisen, sehnsuchtsvollen Klänge des Tango suchen wir demnächst an anderen Orten in Argentinien. 

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Kontakt: flaschenpost@weiberwirsind.com

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